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Wir essen, um satt zu werden. Wir essen bestimmte Lebensmittel, weil wir sie gerne mögen. Doch was ist, wenn das Essen unser Leben bestimmt und allein unser Körper für das eigene Glück oder Unglück verantwortlich ist? Dann ist die Fixierung auf das Essen (oder Nicht-Essen) zu stark. Es bestimmt den Tagesablauf, die Gefühle, die privaten und beruflichen Entscheidungen der Betroffenen. Man spricht von einer Essstörung. Diese hat gravierende Folgen und muss dringend professionell behandelt werden.
Im Wesentlichen werden drei Hauptformen unterschieden:
Die drei klassischen Essstörungen sind nicht immer klar voneinander abzugrenzen. Zum Teil existieren auch Mischformen. Ob es sich beim orthorektischen Ernährungsverhalten um eine weitere Essstörung handelt, wird derzeit noch diskutiert.
Orthorexie bedeutet übersetzt so viel wie "richtiger Appetit". Die Betroffenen zwingen sich zu gesunder Ernährung und haben Angst, durch ungesunde Ernährung krank zu werden. Sie definieren dabei selbst, was für sie als gesund gilt. Während einige auf einzelne Lebensmittel (z.B. Haushaltszucker) verzichten, streichen andere ganze Lebensmittelgruppen und essen nur noch Rohkost. Ebenso können bestimmte Zubereitungsarten oder fixe Zeitpläne (z.B. nach 18 Uhr nichts mehr essen) zur Mahlzeiteneinnahme das zwanghafte Verhalten prägen.
Auch wenn sich das orthorektische Ernährungsverhalten unterschiedlich darstellt, gibt es doch Gemeinsamkeiten: Meist wird die subjektive Definition gesunder Ernährung im Verlauf strenger. Damit werden die "erlaubten" Lebensmittel nach und nach weiter reduziert. Dies birgt die Gefahr einer Unterversorgung mit lebensnotwendigen Nährstoffen. Eine Mangelernährung kann die Folge sein. Dabei beziehen sich die Mangelerscheinungen meist auf die Nährstoffe Protein, Calcium, Eisen, Vitamin B12 sowie Vitamin A, D, E und K. Als Folge einer Mangelernährung kommt es zur Gewichtsabnahme und im weiteren Verlauf zu medizinischen Komplikationen und schlechter Lebensqualität. Die Betroffenen sind meist sehr streng mit den von ihnen aufgestellten Ernährungsregeln. Ein Verstoß führt dazu, dass sie sich schuldig fühlen und für ihr Versagen schämen. Probleme im sozialen Miteinander sind oftmals vorprogrammiert. Betroffene leiden zudem häufig auch an Angststörungen, emotionaler Instabilität sowie Erschöpfungszuständen.
Die genaue Ursache einer Orthorexie ist unbekannt. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass es meist nicht nur eine Ursache gibt, sondern dass die Erkrankung multifaktoriell bedingt ist. Das gestörte Essverhalten beginnt oft mit dem Wunsch, sich gesünder zu ernähren und den Gesundheitszustand zu verbessern. Die Betroffenen erwarten Wohlbefinden und mehr Energie durch eine gesündere Ernährungsweise.
Der Versuch, eine bestehende körperliche Erkrankung zu bewältigen, kann ebenfalls eine Orthorexie auslösen. Oftmals ist es auch die fehlende Erklärung für bestimmte Symptome seitens der Schulmedizin, die Betroffene zu einem extremen Ernährungsverhalten verleitet. Daneben können seelische Beschwerden, insbesondere Zwangs- und Angststörungen, psychische Probleme sowie ein vermindertes Selbstwertgefühl, eine Orthorexie auslösen. Betroffene haben ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle. Ein starrer Ernährungsplan kann hier scheinbare Sicherheit geben und Ängste kompensieren. Auch eine bestehende Essstörung kann zu einem orthorektischen Verhalten führen. Für die Betroffenen stellt die Fixierung auf gesunde Lebensmittel eine Art Bewältigungsstrategie im Sinne eines "Ausstiegs" dar.
Eine Studentin, 20 Jahre alt, möchte ihr Gewicht reduzieren. Sie informiert sich im Internet und entscheidet sich für eine Diät, die es vorsieht, nach einem starren Zeitplan zu essen. Weiterhin ist festgelegt, welche Lebensmittel zu welchen Uhrzeiten erlaubt sind. Ihr Frühstück besteht aus Porridge, das sie mit Wasser zubereitet. Mittags isst sie meist Vollkornnudeln oder Vollkornreis. Ihr Abendessen besteht aus viel Salat und Gemüse. Zucker, Weißmehlprodukte und Fertiggerichte zählen zu den verbotenen Lebensmitteln.
Die Studentin verbringt täglich viel Zeit damit, sich mit Nährstoffen in Lebensmitteln zu beschäftigen. Sie liest sehr viel und informiert sich im Internet und den sozialen Medien. Mit der Zeit wird die Anzahl an "erlaubten" Lebensmittel immer geringer, und sie legt sich immer mehr Regeln fest. Es bereitet ihr ein gutes Gefühl, wenn sie den Plan einhält. Greift sie doch mal zu verbotenen Lebensmitteln, löst dies ein schlechtes Gewissen aus. Um die Regeln jeden Tag einhalten zu können, lehnt sie Einladungen von Freundinnen zum Essen ab. Die Studentin zieht sich aus ihrem sozialen Leben immer mehr zurück. Ihr Körpergewicht ist ihr nach wie vor wichtig. Daneben ist die Angst gestiegen, durch eine falsche Ernährung zu erkranken. Sie selbst fühlt sich "gezwungen", so zu essen, damit sie gesund bleibt.
Der amerikanische Arzt Steven Bratman hat einen Selbsttest entwickelt, mit dem sich abschätzen lässt, ob sich jemand zwanghaft um eine gesunde Ernährung bemüht. Der Test besteht aus zehn Fragen, die jeweils mit ja oder nein beantwortet werden.
Ab zwei bis drei Punkten sieht Bratman das Risiko für eine Orthorexie als erhöht an, ab vier Punkten wird das Essverhalten als orthorektisch eingestuft.
Weitere Screening-Instrumente zur Feststellung eines Risikos für die Entwicklung einer Orthorexie sind u.a. der ORTO-15-Test sowie die Düsseldorfer Orthorexie-Skala.
Bisher existieren weder Leitlinien zur Therapie einer Orthorexie noch ein Behandlungsplan. Bestehen Zweifel, ob das eigene Essverhalten oder das einer nahestehenden Person "normal" ist, sollte ein Psychotherapeut mit Spezialisierung auf Essstörungen um Rat gefragt werden. Untersuchungen zeigen, dass die Therapie entsprechend der Behandlung einer Essstörung möglichst multidisziplinär erfolgen sollte. Dazu gehören eine medizinische, psychotherapeutische sowie ernährungsmedizinische Behandlung. Hat der Betroffene extrem an Gewicht oder Leistungsvermögen verloren, ist eine ärztliche Behandlung notwendig und eine stationäre Therapie ratsam.
Eine zwanglose und ausgewogene Lebensmittelauswahl, bei der auch bewusste aber genussvolle "Sünden" erlaubt sind, sollte unser Ernährungsverhalten prägen.
Weitere Informationen zum Thema "Essstörungen" erhalten Sie von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA)