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Interkulturelle Schulverpflegung - eine Chance für alle Interviews

Professorin Elisabeth Leicht-Eckardt erläutert die wichtigsten Voraussetzungen dafür und verrät ihre Vision für das Jahr 2030.

Portraitfoto Prof. leicht-Eckard
Bild: privat

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Bei der Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund kann die Schulverpflegung einen wichtigen Beitrag leisten. Denn die Schulmensa ist nicht nur ein Ort zum satt werden, sondern auch der Kommunikation und des Miteinanders. Um diese Möglichkeit nutzbar zu machen, müssen sich die Akteure der Schulverpflegung mit den Bedürfnissen aller Gäste auseinandersetzen und sie so gut es geht berücksichtigen.

Wie das gelingen kann, hat Professorin Elisabeth Leicht-Eckardt von der Hochschule Osnabrück der IN FORM-Redaktion erläutert. Leicht-Eckardt forscht mit ihrem Team zu den unterschiedlichen religiösen Speisevorschriften und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für eine interkulturelle Schulverpflegung.

IN FORM: Welches sind die wichtigsten Eckpfeiler einer interkulturellen Schulverpflegung?

Professorin Elisabeth Leicht-Eckardt: Wichtig ist es vor allem, den Bedarf für eine inklusive Verpflegung an einer Schule zu klären. Bei eventuell notwendiger Veränderung des Verpflegungsangebots ist Kommunikation innerhalb der Schule und nach außen essenziell. Dabei sind alle Beteiligten einzubeziehen: Schülerinnen und Schüler, Eltern, Schulleitung, Lehrkräfte, Betreuungskräfte, Hausmeister und gegebenenfalls auch Caterer und Entsorger. Eine Sensibilisierung aller an der Schulverpflegung beteiligten Personen ist wesentliche Voraussetzung für ein gutes Gelingen. Im praktischen Teil folgt dann die religionsadäquate Speisenauswahl, Beschaffung, Lagerung, Zubereitung und Ausgabe. Außerdem ist darauf zu achten, dass es bei Speisenangeboten, für die es spezielle, religiös bedingte Anforderungen gibt, nicht zu Kreuzkontaminationen im Laufe der Prozesskette kommt.

Wer hilft den beteiligten Akteuren dabei bzw. welche Serviceangebote gibt es bereits?

Professorin Elisabeth Leicht-Eckardt: Zu Beginn des Diskussionsprozesses über die Schulverpflegung stehen Gespräche mit allen Akteuren und eine Bestandsaufnahme: Was ist nötig, was ist vorhanden, was ist möglich, wo müssen Kompromisse gemacht werden? Manche Vernetzungsstellen für Schulverpflegung bieten bereits persönliche Beratungen an. In unserem Hause gibt es auch einschlägige Schulungen. Außerdem gibt es inzwischen Literatur zum Thema. Ansonsten empfehle ich wärmstens den direkten Austausch mit den Religionsgemeinden bzw. -gemeinschaften vor Ort, denen die Schülerinnen und Schüler angehören. Auch viele Verpflegungsanbieter beschäftigen sich heute bereits mit diesem Thema.

Wie können Grundschulen ein Essen für verschiede Bedürfnisse anbieten, wenn sie nur eine Menülinie haben?

Professorin Elisabeth Leicht-Eckardt: Eine vegetarische (Grund-)Verpflegung ist aus religionsadäquaten Aspekten am einfachsten. Eventuell können zusätzliche Fleisch- oder Wurstangebote separat und dann bei Bedarf auch von verschiedenen Tierarten (z.B. Schwein, Huhn) gereicht werden.

Welche Möglichkeiten sehen Sie außerhalb der Schulmensa, kulturell-religiöse Unterschiede in der Ernährung zu thematisieren?

Professorin Elisabeth Leicht-Eckardt: Entscheidend ist, dass im Unterricht rund um das Thema Essen und Trinken keine anderen Inhalte vermittelt werden, als Speisen und Getränke in der Schulkantine auf den Tisch kommen. Das gelingt mit einer guten Kooperation zwischen Lehrkräften und den für die Schulverpflegung verantwortlichen Personen. So können Schulen praxisorientierte Projektwochen „Interreligiöse Verpflegung“ durchführen, beispielsweise in Abstimmung mit den Religions-, Hauswirtschafts-, Biologie- oder Sachkundelehrkräften. Tatsächlich lässt sich das Thema Verpflegung – wenn alle an einem Strang ziehen – aber in fast allen Unterrichtsfächern unterbringen. So bietet sich z. B. für Mathematik die Berechnung der Verpflegungskosten an. Mehr Verständnis und Akzeptanz für das an allen Bedürfnissen ausgerichtete Angebot können auch Schülerfirmen schaffen, die an der Planung und Durchführung der Schulverpflegung beteiligt sind.

Wie sieht Ihre Vision zur Inklusion durch Schulverpflegung für das Jahr 2030 aus?

Professorin Elisabeth Leicht-Eckardt: Alle Schulen in Deutschland sind Ganztagsschulen mit einem verpflichtenden Nachmittagsangebot, so dass Verpflegungsanbieter verlässliche Abnahmezahlen haben. Die Schulverpflegung entspricht selbstverständlich den rechtlichen Vorgaben und den Regeln der DGE. Sie ist entsprechend dem Bedarf an Schulen religionsadäquat und die ausgegebenen Speisen sind mit ihren Bestandteilen verständlich erläutert. Unabhängig von ihrer Religion und Herkunft nehmen alle Tischgäste das gemeinsame Mittagessen in der Schule als Genuss wahr. Eltern haben verstanden, dass die Kosten für Schulverpflegung mehr abdecken müssen als die reinen Lebensmittelrohkosten. Sie sind bereit für die gute Qualität entsprechende Deckungsbeiträge zu bezahlen, erhalten aber bei Bedarf Unterstützung durch staatliche Förderprogramme. Es wird auch in Deutschland, wie heute bereits in England, Finnland, Japan oder anderen Ländern ganz normal sein, mittags in der Schule warm zu essen.

Welche Rahmenbedingen sind notwendig, um diese Ziele zu erreichen?

Professorin Elisabeth Leicht-Eckardt: Grundsätzlich braucht es in Schulen – neben dem eigentlichen Verpflegungsangebot - Raum für eine gute Atmosphäre (inkl. Schallschutz!) und Zeit für ein Essen ohne Hast. Außerdem erhöht eine Information über die in den Speisen enthaltene Bestandteile (Volldeklaration) die Akzeptanz. Wichtig ist darüber hinaus, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern an den Entscheidungen über die Verpflegungsangebote und Speisenpläne zu beteiligen; selbstverständlich auf Grundlage einer fachlich Prüfung durch die Vernetzungsstellen Schulverpflegung, die DGE bzw. Verbraucherzentralen. Über allem steht ein entsprechender Bedarf an der jeweiligen Schule, eine Offenheit für Veränderungen sowie eine gute Kommunikation zwischen allen Beteiligten.

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